Vom Badekult zum Lebensstil: Was "Wellness" uns bedeutet
Digital Wellness, aber naturnah – ist das der Zukunftstrend?
In einer Zeit von eingeschränkten Aktivitäten über Wellness nachzudenken, klingt fast ein wenig nach Unverfrorenheit. Aber wenn nicht jetzt, wann dann? Wellnessals Lebensstil könnte uns im Moment mehr bieten als je zuvor. Zudem sehnen sich die Menschen auch im Lockdown nach Maßnahmen, die ihr Wohlbefinden steigern. Wellnesseinrichtungen und Saunen, SPA- und Beautyinstitute sowie die gesamte Hotellerie-Branche sind geschlossen – liegen sozusagen auf Eis.
In unserem aktuellen Monatsbeitrag wollen wir wenigstens online wieder zu wohligen Gedanken beitragen – und der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die so arg gebeutelte Wellness-Branche (wie viele andere Wirtschaftszweige auch) weiterhin eine vielversprechende Zukunft haben wird. Immerhin gibt es "Wellness" schon seit über 5000 Jahren. Widmen wir uns also hoffnungsfroh einer Branche, die vor großen Herausforderungen steht, und einem Thema, das es schon immer gab – und immer geben wird.
Wir alle wissen natürlich, was Wellness bedeutet: Das englische Wort für Wohlbefinden steht im alltäglichen Sprachgebrauch meist für eine "Aktivität", der Menschen schon seit Urzeiten nachgehen. Heilbäder und Kurorte gibt es schließlich bereits seit Jahrtausenden. Aber der Begriff "Wellness" und seine ursprüngliche Bedeutung sind wesentlich älter.
So findet sich das Wort "wellness" im Oxford English Dictionary seit langem als Bestandteil des allgemeinen englischen Sprachgebrauchs und man erfährt neben der Definition auch, dass es sich nicht um einen Begriff der Gegenwart handelt, weil er bereits im Jahre 1654 verwendet wurde (Sir A. Johnston: "I blessed God for my daughter's wealnesse").
Somit erwiesen sich auch spätere, im deutschsprachigen Raum weit verbreitete Behauptungen, der Begriff sei eine Wortneuschöpfung, zusammengesetzt aus Well-Being und Fit-ness, als unzutreffend.
Wellness als Lebensstil
Natürlich kann Wellness auch Entspannung bedeuten, aber es ist viel mehr. Es ist der Weg hin zu einem besseren Leben insgesamt, der durch einen entsprechenden Lebensstil geprägt ist. Das entspricht auch der Definition des amerikanischen Soziologen Donald Ardell: Demnach ist Wellness ein Lebensstil, der auf den vier Säulen Entspannung, Ernährung, Bewegung und soziales und emotionales Wohlbefinden beruht. Wellness als solches ist nach diesem Verständnis nicht an ein Institut oder Hotel gebunden, sondern eine Haltung, die darauf abzielt, die Gesundheit in die eigenen Hände zu nehmen.
Wellness als Lebensstil ist somit eine aktive Form, wozu auch das Praktizieren von Entspannungstechniken, gesunde Ernährung und Sport gehören. Dass dieses Wissen keineswegs neu ist, spiegelt sich zum Beispiel in den jahrtausendalten Konzepten des Ayurveda oder der TCM wider. Grund genug für einen kurzen Überblick über die lange Geschichte von Wellness und Spa:
Interview
"Wellness – quo vadis?"
In unserem Experteninterview im März wollen wir eine Branche beleuchten, die in der aktuellen Lage schwer kämpfen muss – und zugleich immer wichtiger für die Menschen wird. Wellness – quo vadis? Wir haben nachgefragt bei Michael Altewischer, Geschäftsführer der Wellness-Hotels & Resorts GmbH:
Seit 2020 stellen die Maßnahmen wegen der Coronapandemie die Branche vor neue Herausforderungen. Digitalisierungskonzepte wie auch die Rückbesinnung auf die Natur gehören zum "Lebensstil Wellness" dazu. Der Weg dahin begann bereits vor 5000 Jahren. Hier kommt ein Schnelldurchlauf durch die Geschichte*:
3000 v. Chr.: In Indien dienten Ayurveda-Behandlungen auch der Tiefenentspannung von Körper und Geist.
800 v. Chr.: In Griechenland war der regelmäßige Besuch von Badeanstalten und Thermen eine Selbstverständlichkeit.
700 v. Chr.: Der indische Arzt Chakara schreibt das erste Buch über Ayurveda und Medizin.
460 v. Chr.: Der griechische Arzt Hippokrates, Gründer der Medizin als Wissenschaft, beschäftigte sich auch mit der Steigerung des Wohlbefindens für Gesunde.
Um 400 v. Chr.: In dieser Zeit entstand das berühmte Heilbad der Antike in Epidaurus.
200 v. Chr.: Die römischen Badeanlagen, die bis zu 1000 Personen fassen konnten, dienten (wie 600 Jahre zuvor die griechischen Thermen) nicht nur der Reinigung, sondern auch der Steigerung des Wohlbefindens.
11. bis 12. Jhdt. n. Chr.: Nach dem Untergang des römischen Reichs sind auch die Wellness-Anwendungen und die Badeanstalten "untergegangen". Im Mittelalter galt übermäßige Körperpflege oder gar Baden als unsittlich.
12. bis 13. Jhdt. n. Chr.: Die Kreuzritter kehren zurück und bringen auch die Baderituale der arabischen Länderwieder zurück in das Abendland, die seit dem Untergang des römischen Reiches hier bei uns in Vergessenheit geraten sind. Nun wächst auch in den Burgen des Mittelalters langsam eine Kultur des Badens und der Körperpflege heran.
14. bis 15. Jhdt. n. Chr.: Die Pest setzt dem Badewesen aus Angst vor Ansteckungen ein abruptes Ende. Zeitgleich erreicht die traditionelle Chinesische Medizinwährend der Ming Dynastie ihren Höhepunkt.
16. Jhdt. n. Chr.: Erste Gäste aus England besuchen den belgischen Badeort Spa.
17. bis 18. Jhdt. n. Chr.: Im Barockzeitalter überwiegt die Angst vor dem Wasser. Als Alternative wurden Parfum und Puderzur Körperpflege eingesetzt.
18. bis 19. Jhdt. n. Chr.: In England wird erkannt, dass Baden doch eine gesunde Sache ist. Im Jahr 1789 wird einem adeligen Patienten ein Bad in der Ostsee verordnet. Um einen passenden Rahmen für diese Bäder zu schaffen, entsteht Heiligendamm als erstes Seebad.
1970er Jahre: Die Fitnessbewegung aus den USA wird nach Europa getragen. Die Staaten möchten die Gesundheitskosten senken und fördern die Fitnessangebote. Die westliche Medizin setzt sich mit Ayurveda-Behandlungen
1980er Jahre: Neue Wellness-Konzepte werden erarbeitet, da der reine Fitnessgedanke nicht ausreicht. Das Augenmerk richtet sich nunmehr auf gesundheitliche Aspekte und auch auf Beauty- und Kosmetikangebote. Kurbetriebe erweitern ihre Angebote um Wellness- und Spabereiche. Hotelanlagen werden um Wellness-Bereiche erweitert und erste Beauty-Spas in Hotels entstehen. Im Jahr 1990 wird die Deutsche Wellness-Union gegründet.
Ab 1991: Der Wellness-Trend hält unvermindert an, die Wellness- Angebote werden immer weiter ausgebaut. Die Branche wird durch High-Tech-Angebote
(*Quelle: berchtesgadeninfo.de)
Zu erwähnen sind noch die Pioniere Schroth, Kneipp und Dunn, welche entscheidenden Einfluss auf die Wellnessbewegung hatten: Der Österreicher Johann Schroth (1798 bis 1856) konzipiert eine energie- und fettreduzierende Diät. Diese Art der Ernährung basiert auf drei Grundprinzipien: Frühmorgendliche Packung, strenge Diät und einen Wechsel von Trink- und Trockentagen. Der Pfarrer Sebastian Kneipp (1821 bis 1898) war schwer erkrankt und kurierte sich selbst: Er entwickelte Wasserkuren und erkannte die Zusammenhänge zwischen Ernährung, geistig-seelischer Verfassung und körperlichem Wohlbefinden. Im Jahre 1959 propagiert der Arzt Halbert L. Dunn den Wellness-Gedanken, im Mittelpunkt steht die Harmonie von Körper, Seele und Geist. Jedes Individuum trägt selbst die Verantwortung gegenüber dem eigenen Leben und seinem Wohlbefinden.
Wellness heute: "medical" und "mental"
Mehr als Entspannung: Heute geht es vor allem um "Wellness mit Wirkung".
Was wünschen sich Kundinnen und Kunden heute, wenn sie ein Wellnessinstitut besuchen oder einen Aufenthalt in einem Wellnessresort buchen? "Wellness mit Wirkung wird immer wichtiger", sagt Michael Altewischer von WH-R (Wellness Hotels & Resorts), "dazu gehört auch Wellness mit medizinischer Unterstützung."
Immer mehr Menschen möchten sich nicht nur kurzzeitig verwöhnen lassen, sondern auch langfristig in den Alltag etwas mitnehmen. Wellness umfasst ja Körper, Geist und Seele. Dazu Altewischer: "Was wir aktuell auch sehen ist, dass neben all den physischen Aspekte auch die psychischen Aspekte immer wichtiger werden. 'Mental Wellness' wurde schon vor zwei Jahren in unserer Umfrage zu den Wellness-Trends 2019 von vielen Gästen als interessant erachtet. Ich gehe davon aus, dass das Bedürfnis danach in den letzten Monaten noch einmal deutlich gestiegen ist."
Die Welt der Spas und Wellnesshotels ist heute so vielfältig wie nie zuvor. Die Zeiten, in denen ein Spa-Betrieb noch mit Thermalbecken und Dampfkabine seine Gäste anlocken konnte, haben sich geändert. Weiterentwicklung wird gerade in dieser Branche großgeschrieben – und auch umgesetzt. Konzepte, welche auch die psychische Befindlichkeit des Gastes miteinschließen, sind heute unverzichtbar. Doch abgesehen von ganzheitlichen medizinischen Konzepten sind Komplementärmedizin oder fernöstliche Heilslehren wie TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) und auch Ayurveda heute fixe Bestandteile in einem SPA. Professionalität ist gefordert. Jedes Hotel entwickelt seine eigenen Behandlungen, die auf höchstem Niveau ausgeführt werden und so einem Unternehmen eine besondere Note geben.
Last but not least hält auch die Technik immer mehr Einzug in die Wellnessrefugien. Körperschallliegen, Virtuell-Reality-Brillen (VR), multisensorische Räume oder Smart mirrors sind nur einige Beispiele, wie Digitalisierung im Wellnessbereich genutzt werden kann. Derartige technische Highlights werden zwar vielfach angeboten und genutzt, seien aber nicht DER Zukunftstrend schlechthin: "Echte Berührungen und persönliche Beratung sprechen Ebenen an, die ein Gerät niemals bedienen kann", gibt Michael Altewischer zu bedenken.
Ausblick: Back to nature
Wenn sich in Zeiten wie diesen überhaupt ein Trend abzeichnet, dann lautet der: Natur. Dazu Altewischer: "Wir sehen ganz aktuell, dass die Natur einen großen Wert für die Reisenden hat. In unserer Umfrage zu den Wellness-Trends 2021 (wird am 12. März 2021 auf dem "Expertsforum Wellness" im Rahmen der ITB veröffentlicht) geben 26,8 Prozent der befragten Wellnessinteressierten an, dass in der Natur zu sein ihnen 2021 wichtiger ist als vor der Pandemie. Für 71,7 Prozent ist es gleich wichtig geblieben, nur 0,6 Prozent finden es gar nicht wichtig, in der Natur zu sein."
Aber Digitalisierung und Rückbesinnung auf die Natur sind keine Gegensätze. Ganz im Gegenteil: So mag das große Ziel "Vereinbarkeit von Technik und Natur" lauten. Als moderne Gesellschaft haben wir Menschen ja den Wunsch nach beidem: Digitalisierung in möglichst vielen Bereichen, aber auch regelmäßige "digital detox"-Zeiten. Hier geht es um nichts anderes als Balance. Wie bei "Wellness als Lebensstil".