Brücke zur Seele und Schlüssel zur Gesundheit – das faszinierende Netz in unserem Körper verdient unsere volle Aufmerksamkeit
Heute sind sie in aller Munde, doch jahrhundertelang führten sie in der Wissenschaft ein Schattendasein: die Faszien, ein geheimnisvolles Netz, das unseren gesamten Körper durchzieht. Inzwischen weiß die Wissenschaft, dass dieses verborgene Bindegewebe eine zentrale Rolle spielt für unsere Gesundheit, Beweglichkeit und Körperwahrnehmung. Und nicht zuletzt für unsere Schönheit.
Faszien: Was ist das eigentlich? Stellen Sie sich ein Netz vor, das unseren kompletten Körper unter der Haut umhüllt. Das sind unsere Faszien, ein Bindegewebe voller Kollagen. Es liegt verborgen direkt unter der Haut und tiefer. Das faszinierende Gewebe umhüllt unsere Muskeln, Sehnen und Organe. Es ist auch das Bindeglied zu unseren Knochen. Was man lange nicht wusste: Faszien sind keineswegs „nur“ ein Hülle, sondern zentral für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Eine Überraschung in der Wissenschaft und eine kleine Revolution. Denn das aktuelle Wissen ermöglicht neue Wege bei Behandlungsmethoden, vorbeugendem Training oder gezielter Faszien-Massage. Auch beim Thema „Beauty“ sind die Faszien heimliche, aber wichtige Stars.
Wie über ein Seilzugsystem verteilen sich Faszien und Kräfte durch den gesamten Körper. Fotocredit: Holger Münch, Stuttgart. TRIAS Verlag
Alles ist eins: Ein Netz aus Zuglinien und Ketten Faszien sind überall im Körper miteinander verbunden und bilden ein komplettes Netz. Das Besondere: Alles hängt zusammen! Das komplexe System ist so aufgebaut, dass unzählige „Faszien-Linien“ oder „Faszien-Ketten“ miteinander in Verbindung stehen. Diese gehen vom Kopf bis zum Fuß, von einer Hand quer zur anderen oder überziehen den gesamten Rumpf. Das bedeutet: Wenn es an einer Stelle ärgert, kann die Ursache ganz woanders liegen. Erfahrene Faszien-Therapeuten nehmen deshalb etwa beim Rückenschmerz nicht nur die konkrete Stelle ins Visier, sondern behandeln das ganze „fasziale System“. Die „Zuglinien“ sind so eng vernetzt, dass der Schmerz im unteren Rücken auch von den Füßen kommen kann. Faszien-Spezialist Kay Bartrow, Autor des Ratgebers „Faszientraining“ vergleicht die Faszien-Vernetzung anschaulich mit einem „Seilzugsystem“. Die Quintessenz heißt: Alles ist Teil eines Systems und alles ist miteinander vernetzt. Dieses Wissen bietet heute einen wesentlich größeren Spielraum, um Beeinträchtigungen oder Schmerzen effektiv und langfristig erfolgreich zu behandeln. Faszien sind ein Quell der Heilung! Ein weiterer Vorteil: Wir selbst haben beste Möglichkeiten, durch Faszien-Training oder Faszien-Massage unsere Vitalität, Gesundheit und auch unsere Schönheit positiv zu beeinflussen. Völlig zu Recht sind die faszinierenden Faszien innerhalb der letzten Jahre vom Nebendarsteller zum Hauptdarsteller geworden.
Faszien lieben Bewegung: Rollen Sie doch einfach mal Ihren Rücken mit der Faszien-Rolle aus! Foto: Holger Münch, Stuttgart. TRIAS Verlag
Rauf auf die Rolle: Faszien lieben Bewegung Fit und geschmeidig, beweglich und flexibel: So sind unsere Faszien im allerbesten Fall. Doch häufig haben es unsere Faszien ziemlich schwer: Langes Sitzen am Schreibtisch, monotone Bewegungen oder Verletzungen machen ihnen zu schaffen. Sie können verkürzen, verkleben und verhärten. Deshalb: Nichts wie los! Bewegung ist das Zauberwort! Durch gezieltes Training wird das Faszien-Gewebe wieder mit Kollagen und Feuchtigkeit versorgt und angenehm elastisch. Wichtig zu wissen: Faszien-Training braucht Geduld! Im Vorwort des Ratgebers „Faszientraining Outdoor“ fasst es Dr. Robert Schleip von der Universität Ulm so zusammen: „Betrachten Sie das Training wie die Verfolgung eines Bausparvertrags: Viele kleine geduldige Schritte werden es Ihnen erlauben, Ihren ‚Faszienanzug‘ von einem spröden Fasergerüst in ein elastisch-federndes Spannungsnetzwerk zu verwandeln. Mit einer solchen Ausstattung werden Sie Ihren Körper zukünftig mit einer vermehrten Sinnlichkeit spüren, größeren Belastungen mit einer erhöhten Resilienz und jugendlicher Geschmeidigkeit entgegentreten.“ Möglichkeiten, seinen Faszien etwas Gutes zu tun, gibt es inzwischen genug: Ob mit der beliebten Faszien-Rolle oder ganz ohne Hilfsmittel, ob beim Faszien-Yoga oder Faszien-Training unter freiem Himmel, ob bei der Beauty-Faszien-Massage oder beim Faszien-Pilates. Unser Bindegewebe freut sich über jede noch so kleine Bewegung. Also: Runter vom Sofa und auf zu einer kleinen Bewegungspause!
Faszien-Yoga: Macht Freude und ist Anti-Aging pur. Foto: pixabay.com
It's beautiful: Faszien-Training für die Schönheit Auch für unsere Schönheit sind die Faszien ganz wesentlich. Übertrieben, denken Sie? Nein, absolut nicht! „Wer Anti-Aging betreiben möchte, sollte seine Faszien durch entsprechendes Training und entsprechende Lebensumstände elastisch und kräftig halten. Denn der Zustand unseres Gewebes hat auch Einfluss auf unseren Alterungsprozess“, betonen die Faszien-Experten Beatrix Baumgartner und Markus Strini. Und nicht nur das: Auch für eine elegante und geschmeidige Erscheinung sind sie wesentlich: „Die Faszie ermöglicht uns auch unsere aufrechte Haltung und Körperspannung. Ohne sie wären wir formlos, quasi ein Berg Muskelmasse. Gekoppelt mit der entsprechenden Hormonausschüttung entscheidet die Faszie, ob wir im Alltag eine sogenannte Power Pose (stolze Haltung) oder eine Low Power Pose (zusammengesunkene Haltung) einnehmen und auch entsprechend von unserer Umwelt wahrgenommen werden. Die Körperhaltung und -sprache prägt ganz entscheidend, wie wir uns fühlen und auch wie wir wirken.“ Faszien-Training formt den Körper positiv – und ist damit ein wichtiges Element für Vitalität, Fitness und Schönheit.
Stress oder Sorgen? Faszien reagieren sensibel auf Emotionen Es gibt eine weitere aktuelle Erkenntnis, die einer kleinen Revolution gleicht: Unser Faszien-Gewebe reagiert nicht nur auf Über- oder Unterbelastung – sondern höchst sensibel auch auf Emotionen. Dieser Aspekt war lange Zeit unbekannt und wäre sicherlich manchmal belächelt worden. Doch es ist tatsächlich so: Ganz sensibel nehmen die zarten Fasern unsere Stimmungen und Empfindungen auf – und antworten in Windeseile mit Verspannung und Verkrampfung. Sorgen wir uns? Grübeln wir über ein ungelöstes Problem? Belastet oder ärgert uns etwas? Unsere Faszien reagieren mit Verhärtung – und zwar unmittelbar. Ein guter Tipp ist also: Aufmerksam in sich hineinspüren und mal schauen, was gerade stört – denn häufig kommen Verspannungen aus dieser „Ecke“. Oft sucht man zunächst nach rein körperlichen Ursachen: Habe ich eine falsche Bewegung gemacht? Habe ich falsch gesessen oder gelegen? Doch nicht selten sind es andere Belastungen, die unser aufmerksames Faszien-Netzwerk wahrnimmt. „Brücke zur Seele“ werden die sensiblen Faszien deshalb auch ganz trefflich genannt. Dieser neue Zusammenhang ist eine große Hilfe: Bei Rückenschmerzen und auch bei chronischen Rückenschmerzen darf man sich fragen, welch belastende Gedanken vorhanden sind. Diese zu erkennen und zu benennen – das ist schon der erste Schritt zur Entlastung. Sobald wir anstrengende Empfindungen „entknotet“ haben, reagieren auch unsere Faszien. Sie nehmen höchst sensibel unsere positive Gefühlslage wahr und schalten von Anspannung auf Entspannung. Ein Hoch also auf glückliche Gemütslagen – für uns und unsere Faszien.
Eine Wohltat: Faszien-Gewebe wird durch Massage gelockert und gelöst. Foto: pixabay.com
Beauty-Trends: Faszien-Training und Faszien-Massage In jüngster Zeit werden zahlreiche Wellness-Trends medizinisch „unterfüttert“. Das hat seinen guten Grund. Auch beim Faszien-Training und der Faszien-Massage ist inzwischen erforscht, warum sie nachweislich einen positiven Effekt für Gesundheit und Schönheit haben. Sind beispielsweise Faszien durch langanhaltende Anspannung belastet, verkleben sie regelrecht, verhärten und trocknen aus. Warum ist das so? In jeder Faszien-Schicht befindet sich Hyaluron. Dieses sorgt für Geschmeidigkeit und Gleitfähigkeit der Faszie. Gibt es zu wenig Feuchtigkeit, wird das Gewebe rau und spröde. Durch Bewegung – ob durch Massage oder Eigenbewegung – steigt der Wassergehalt. Entzündungsstoffe werden ausgetauscht und das Gewebe kann sich reinigen. Durch gezielte Therapie und gezieltes Training lässt sich der Wassergehalt optimal verbessern. „Wir können uns das vorstellen wie bei einem Schwamm“, erklärt Faszien-Spezialist Robert Schleip diesen Sachverhalt. „Absolut erstaunlich ist zudem, dass dieser ‚Schwamm‘ nach einer Massage-Behandlung sogar feuchter ist als vorher. Ein beeindruckendes Ergebnis.“ Der Stoffwechsel wird bestmöglich angeregt, Kollagenfasern produzieren frisches Hyaluron und die Faszie wird mit Feuchtigkeit versorgt. Die Gewebsstruktur ist wieder beweglich und geschmeidig. Der körpereigene Jungbrunnen startet! Eins ist allerdings wesentlich: Bewegung ist gut – aber Pausen und Entspannung sind es ebenso. Nach jedem Sport brauchen die Fasern Zeit, um sich zu regenerieren. Zwischenstopps und Erholung also bitte nicht vergessen!
Von der Theorie zur Praxis: Tipps zur Faszien-Selbst-Massage
Von Kopf bis Fuß: Faszien-Massage am Fuß wirkt sich positiv auf den gesamten Körper aus. Foto: pixabay.com
Fußmassage: Mit Tennisbällen oder Flummis die Füße massieren. Mit Tennisbällen geht dies im Stehen, während die härteren Flummis besser im Sitzen genutzt werden – etwa beim Arbeiten am Schreibtisch. Das Besondere: Wenn wir unsere Füße massieren, beispielsweise die große, starke Plantarfaszie, die unter dem Fuß verläuft, tun wir nicht nur unsere Füßen etwas Gutes! Wir erreichen stattdessen die gesamte „hintere Faszien-Linie“, die vom Fuß über die Wade verläuft, hoch über den Rücken und über den Kopf bis zu den Augenbrauen. Machen Sie den Test: Schultern mal VOR der Fußmassage kreisen lassen – und DANACH. Ein enormer Unterschied! Das ganze Gewebe, die kompletten Strukturen sind viel lockerer.
Augenbrauen ausstreichen: Mit Zeigefingern und Mittelfingern über der Nasenwurzel ansetzen und von innen nach außen oberhalb der Augenbrauen ausstreichen. Mit sanftem Druck. Mit der Augenbrauen-Massage erreichen wir das eine Ende der „Kette“, deren anderes Ende unter den Füßen beginnt. Der Impuls kommt so von beiden Seiten. Ach ja: Diese leichte Massage hilft auch sehr gut bei Kopfschmerzen.
Gesichtsfaszien lockern: Sanft über die Kaumuskulatur streichen. Von oben, den Wangenknochen, bis nach unten zum Kinn. Hier sitzt häufig viel Spannung. Auch mal vorne unter dem Kinn mit Zeige- und Mittelfingern ansetzen und unter dem Kinnknochen nach links und rechts ausstreichen. Mit diesen beiden Massageübungen lockern wir unsere Gesichtsfaszien, die oft verspannt sind.
Tipp: Während der Übungen weiteratmen! Dies wird gerne mal vergessen. Tief ein und tief aus. Zwischendurch prüfen: Ist mein Gesicht locker? Ist mein Kiefer locker oder drücke ich die Zähne zusammen? Liegt meine Zunge entspannt im Mund?
Gönnen Sie sich zwischendurch den „Seelenseufzer“: ein tiefes, ausatmendes „Haaa“, so als würden Sie sich am Feierabend auf's Sofa fallen lassen. Lockert einfach und effektiv das Brustbein – und damit auch Nacken und Schultern!
Für Eilige: Die Faszien-Selbst-Massage-Tipps in aller Kürze
Fuß-Faszien mit Tennisbällen oder Flummis massieren.
Oberhalb der Augenbrauen die Faszien ausstreichen: In der Mitte beginnen, nach rechts und links ausstreichen.
Gesichts-Faszien massieren: Die Kiefermuskulatur links und rechts an den Wangen – und die Faszien direkt unterhalb des Kinns.
Tipp: Bei allen Übungen das tiefe Atmen nicht vergessen!
Seelenseufzer: Lockert Brustbein und alle Faszien, die dort verlaufen.
Sie möchten sich intensiver informieren? Hier sind aktuelle Lese- und TV-Tipps:
Kay Bartrow: Schmerzfrei und beweglich mit der Blackroll: Die besten Übungen für den ganzen Körper. Trias-Verlag, 2018.
Beatrix Baumgartner und Markus Strini: Faszientraining Outdoor. Trias-Verlag, 2018.