Wer attraktiv ist, gilt oft als klüger, hat gesellschaftlich mehr Erfolg und die besseren beruflichen Chancen. Der vermeintliche Zusammenhang zwischen "gut und schön" hat aber keinerlei reale Berechtigung, er basiert auf Vorurteilen und ist vor allem eins: unfair! Trotzdem ist der so genannte "Schön-ist-gut-Effekt" nicht einfach auszuradieren. Woran liegt das?
Ulrich Rosar: "In gewisser Weise sind wir Sklaven des 'schön-ist-gut-Effekts', denn wir sind gezwungen, in unserer komplexen Welt zu kategorisieren. Wir müssen quasi in Schubladen denken, um uns in ihr orientieren zu können." Aber Marionetten eines Schönheitsdiktats sind wir deshalb noch lange nicht. So schwierig es auch sein mag, wir können dem "Vorurteil Schönheit" entgegensteuern. "Denken ist die einzige Möglichkeit, dagegen anzugehen", ermuntert der Attraktivitätsforscher und rät, unsere Schubladengedanken regelmäßig zu reflektieren und dort gelegentlich auch einmal aufzuräumen.
Mit dieser Auffassung ist Professor Rosar in prominenter Gesellschaft. An der University of Pennsylvania arbeitet ein Wissenschaftler, der sich ebenfalls mit dieser Frage beschäftigt. Er heißt Anjan Chatterjee und ist Professor für Neurowissenschaften. Seit langem erforscht er, was in unseren Gehirnen geschieht, wenn wir schöne Menschen sehen – und wie der "Schön-ist-gut-Effekt" zustande kommt: "Menschen reagieren auf Schönheit selbst dann, wenn sie sich dessen gar nicht bewusst sind", sagt Chatterjee im Online-Magazin der „Zeit“ (Artikel: Die Stille Macht der Schönheit, 10/2019). Auch in seinem Labor waren die Probanden schnell dabei, das Aussehen von Personen mit moralischen Urteilen zu verknüpfen.
Wie ungerecht! Was also ist zu tun? "Wir müssen uns solcher Fehlannahmen bewusst werden, um sie verändern zu können", so Chatterjee. "Die Medien spielen dabei eine große Rolle." Das menschliche Gehirn habe genug Kapazitäten, um besser zu reagieren. Der Mensch muss es nur wollen. Auch gesellschaftlich spräche vieles dafür, dass sich unsere Schönheitsideale lockern. Früher hätten die Menschen öfter in geschlossenen Gemeinschaften gelebt, ohne neue, fremde Einflüsse, ohne das Internet. Heute hingegen seien gerade Großstadtbewohner mit viel diverseren Gruppen von Menschen konfrontiert – und damit auch mit ganz verschiedenen Schönheitsidealen. Spreche nicht vieles dafür, dass die jungen Leute durch ihre Selfies immer öfter selbst das Bild von Schönheit definierten?